Auf nach St. Petersburg – 10. Tag

22.06.2014

 

Ausgeschlafen starten wir in den neuen Tag. Gestern sind wir früh schlafen gegangen. Die kurze Nacht davor und der lange Tag „on the road“ haben uns müde gemacht. Aber jetzt sind wir sehr gespannt auf St. Petersburg – und die große challenge, ohne Autobahnen hinein zu finden! Am Lagerfeuer in Hov waren da wilde Geschichten von stundenlangem Suchen zu hören … Aber wir sind guter Dinge! Sogar die Sonne scheint!

 

Wider Erwarten gelingt der Versuch, zu einem Frühstück zu kommen, verhältnismäßig schnell. Die junge Dame, die uns gestern den Weg zur Rezeption gezeigt hat, weist uns auf die Frage „Kaffee?“(wir wussten, dass „Κафе“ dasselbe bedeutet, wie bei uns) einen Platz und bringt uns die Speisekarte. „Menue“ steht drauf – aber das ist dann auch das letzte, was wir lesen können. In „Langenscheidts Sprachführer“ findet Bernd das Wort Frühstück und identifiziert die entsprechenden kyrillischen Zeichen als Seitenüberschrift. Und nach einer Weile entdecken wir „ОМЛЕТ“ – und weil es das Einzige ist, das wir dann doch verstehen, bestellen wir Omelette und es schmeckt sehr gut. Beim Frühstück unterhalten wir uns darüber, welchen positiven Einfluss so ein Kloster möglicherweise auf die Menschen in der Umgebung hat, denn das Dorf ist – verglichen mit anderen, die wir passiert haben, auffällig: Viele der Häuschen und Häuser sind in vergleichsweise guten Zustand.

Gestärkt fahren wir zum Kloster, wo schon mehrere Busse warten. Offenbar ist das Kloster ein Anziehungspunkt. Das erklärt die Stände der Händler vor dem Eingang. Während Stephan ein Foto macht, bleibt Bernd im Auto. Dort spricht ihn ein Russe an, der wissen will, was wir machen und wo wir hinwollen. Bernd zeigt ihm das Roadbook. Offenbar hat er – vermutlich nicht nur seinem „angetüterten“ Zustand geschuldet – den Eindruck, wir hätten uns verfahren. Jovial lehnt er sich ins Fenster, qualmt (und ascht) ins Auto und erklärt uns wortreich und in unser Notizbuch kritzelnd den schnellsten Weg nach Finnland (Richtung Kandalaksha, wo wir herkommen). Und möchte am Ende Geld.

 

Zurück auf der M18 zeigt das erste Schild: С.-ЛЕТЕРБУРГ 228 km. Etliche Kilometer später sind es noch 239 km. Aber das kennen wir schon: immer wieder hat sich die Strecke auf merkwürdige Weise wieder verlängert, manchmal wurde sie auch schnell viel kürzer. So oder so: Irgendwann werden wir ankommen. Und hoffentlich unterwegs noch die Aufgabe „My beloved Russia“, eine unserer zehn Foto-Aufgaben,  erfüllen, ein Foto mit Hammer und Sichel.

Bernds Baustellenserie hält an – gut, wenn es auf so einer Reise ein paar Konstanten gibt. Und das ist nicht die einzige: Wir sind wieder in der Waldschneise, wenn auch – zugegeben – die Lücken häufiger werden. Das bedeutet: Wir sind dem Ziel relativ nahe. Fazit einer langen Fahrt auf der M18/E105: Wer etwa in Murmansk Verwandte hat, muss ihnen sehr verbunden sein, damit er sich auf die Reise macht. Die Strecke braucht eine gewisse – so heißt das im Radsport – „Tempohärte“. Das bedeutet hier, „flotte 90“ zu fahren, sich möglichst an die Einheimischen zu hängen, die zügiger unterwegs sind, und darauf zu achten, ob die Entgegenkommenden mit der Lichthupe blinken – das heißt: In absehbarer Zeit stehen „Freunde und Helfer“ („Dein Freund und wart‘ ich helf dir gleich“) am Straßenrand. Aber es ist auch nicht nötig, alles zu übernehmen: mancher Überholvorgang, den wir beobachten, lässt uns erschrocken zusammenzucken.

 

Russland gibt uns eine Ahnung des Gefühls, das Fremde – etwa Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen – haben müssen, wenn sie zu uns nach Deutschland kommen: Nichts verstehen und nichts lesen, sich nicht verständlich machen können! Und wir sind ja von so einer Situation noch weit entfernt, weil wir Geld haben und mobil sind … aber eine leise Ahnung bekommen wir doch und es fühlt sich, vorsichtig gesagt nicht gut an!

 

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Im Obi findet Bernd Hammer und Sichel

Das erste sichtbare Zeichen, dass wir uns einer Großstadt nähern, ist ein riesiges Einkaufszentrum „vor den Toren der Stadt“. Der „OBI“-Schriftzug springt uns ins Auge, weil wir ja Hammer und Sichel brauchen. Und unter Umständen finden wir dort noch einen Zugdraht, den wir einmal durch den Lüftungsschlauch des Tanks schieben wollen, vielleicht lässt sich so das ewige Problem doch noch lösen. Der morgendliche Tankstopp dauerte handgestoppte 13 Minuten. Wenn Stephan am Ende der Reise „Rücken hat“, dann deswegen.

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Und jetzt scheint es endlich etwas besser zu klappen

Wir finden alles. Das Bild machen wir direkt drinnen und Bernd erprobt den Zugdraht – und mindestens bis zum nächsten Stopp haben wir das Gefühl: Jetzt ist das Problem behoben.

 

Dann aber die eigentliche Herausforderung des Tages: Sich in St. Petersburg zurecht finden! Wir haben eine Karte und ein Luftbild. Und eine Adresse, die wir in russischen Buchstaben wiedererkennen sollten. Der Regen (Sonne am Morgen war ein kurzes Vergnügen) macht die Sache nicht einfacher, denn der Stadtverkehr hat seine eigenen Regeln. Stephan fährt trotzdem lieber, weil Bernd der bessere Navigator ist. Um es kurz zu machen: Nach zwei Stunden haben wir den Weg vom Einkaufszentrum vor das Hotel bereits bewältigt. Wir sind etwas hin und her gefahren. Haben uns zäh durch den Verkehr geschoben. Und am Ende bleibt für Bernd die leider nicht schlüssig zu beantwortende Frage, wie wir denn eigentlich gefahren sind. Denn die Strecke, die der GPS-Tracker aufgezeichnet hat scheint für uns nicht der zu entsprechen, die wir vage in Erinnerung haben. – Das macht uns Hoffnung für den Weg aus der Stadt wieder hinaus. Aber bis dahin sind es noch anderthalb Tage. Vorher schauen wir uns hier um: Morgen bleibt das Auto tatsächlich einen Tag stehen und wir ernten sozusagen die Früchte zweier längerer Etappen. Mit anderen Worten: Das haben wir uns verdient!

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